Jerusalem in biblischer Geschichte und Prophetie

Die Stadt Jerusalem mit dem Tempelberg im Zentrum ist einer der umstrittensten Flecken der Erde. Wie schon so oft in der Geschichte, so sind auch heute noch – und vielleicht mehr denn je – die historischen Zuordnungen, die Ansprüche, die Zukunftsentwürfe, die Erwartungen und identitätsstiftenden Perspektiven auf Jerusalem sehr kontrovers. Allein in den letzten Monaten sind diese Spannungen auf vielfältige Weise zutage getreten: Die UNESCO-Beschlüsse im Oktober 2016, die fast zeitgleichen Besuche der beiden höchsten Vertreter der verfassten Kirchen Deutschlands auf dem Tempelberg, die Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrates vom 23.12.2016 und damit verbunden die Friedenskonferenz vom 15. Januar 2017 in Paris zeigen, wie hochaktuell und relevant die kontroverse Diskussion um die Stadt ist. Dieser Beitrag ist ein Versuch, die wesentlichen Eckpunkte der biblisch-christlichen Sicht auf Jerusalem zu skizzieren. Zehn davon seien genannt:

1) Die Uranfänge Jerusalems zur Zeit Abrahams vor ca. 4.000 Jahren

Im 1. Buch Mose wird davon berichtet, dass es zu einer Begegnung zwischen Abraham und dem Priesterkönig Melchisedek, „König von Salem“, kam (1 Mose 14,18-20), und wenig später, dass es der Berg Moria war, auf dem Gott den Abraham herausforderte, seinen Sohn zu opfern (1 Mose 22,12-14). Die Figur des Melchisedek wird im Hebräerbrief Kapitel 7 weiter beleuchtet. Die Opferung des Sohnes Abrahams wurde von einem Engel des Herrn in letzter Minute verhindert. Aber gemäß den neutestamentlichen Evangelisten wurde etwa 2.000 Jahre später nur eine kurze Distanz entfernt gemäß dem Willen seines Vaters der Sohn Gottes ans Kreuz geschlagen. Salem und Moria zur Zeit Abrahams – hier liegen nach biblischem Zeugnis die Ursprünge der Geschichte Jerusalems und ihrer damit verbundenen heilsgeschichtlichen Bedeutung für Juden und Christen.

2) Jerusalem – die Stadt Davids

Etwa 1.000 Jahre später eroberte König David, der zuvor schon sieben Jahre in Hebron regierte, Jerusalem von den damaligen Einwohnern, den Jebusitern (2 Sam 5,5ff). David regierte in Jerusalem 33 Jahre, bereitete dort den Bau des ersten Tempels vor und regierte Israel in seiner größten Blütezeit von Jerusalem aus. Am Ende der Regierungszeit Davids sprach Gott durch den Propheten Nathan David eine ewige Nachkommenschaft auf seinem Thron zu (2 Sam 7,16) – das war der Beginn der biblischen Offenbarungslinie bezüglich des Messias als ein Nachkomme Davids: Der Sohn Davids sollte in der Stadt Davids den Thron Davids einnehmen.

3) Salomo baut den ersten Tempel auf dem Berg Moria

Es war Davids Nachkomme, König Salomo, der die Vorbereitung seines Vaters zum Bau des ersten jüdischen Tempels in Jerusalem zu einem glorreichen Abschluss bringen sollte. Besonders erwähnenswert ist in unserem Zusammenhang, dass der Standort des Tempels gemäß Gottes Führung genau auf dem Platz in Jerusalem sein sollte, auf dem die Tenne stand, die David von dem Jebusiter Ornan / Arwana gekauft hatte, um als Dank für ein vorzeitig beendetes Gericht Gottes einen Altar zu bauen (2 Chr 3,1 – s. auch 2 Sam 24): Der hochgradig umstrittene Tempelberg ist demnach identisch mit dem biblischen Berg Moria.

4) Jesus und Jerusalem

Die Verbindung von Jesus mit der Stadt Jerusalem war sehr eng – insbesondere unter heilsgeschichtlichen Gesichtspunkten:

  • Geboren wurde er in Bethlehem, unweit Jerusalems, der Stadt seiner Urahnen Isai und David (1 Sam 17,12).
  • Als Kind pilgerte Jesus zusammen mit seinen Eltern zu den biblischen Festen zum Tempel nach Jerusalem (Lk 2,41ff).
  • Jesus lehrte häufig im Tempel und in Jerusalem.
  • Jesus setzte das Abendmahl in Jerusalem ein.
  • Jesus starb in Jerusalem durch Kreuzigung und wurde dort begraben.
  • Jesus wurde in Jerusalem von den Toten erweckt.
  • Jesus fuhr vom Ölberg aus, der östlich der Altstadt – dem damaligen Jerusalem – liegt, gen Himmel. Gemäß Sach 14,4 wird der Messias auch (nach christlichem Verständnis wieder) auf den Ölberg kommen.

Jesus selbst bezeichnete Jerusalem in der Bergpredigt (Mt 5,35) in einem erstaunlichen Kontext als die „Stadt des großen Königs“ – ein Zitat aus Ps 48,3. Mit dem „großen König“ ist zunächst König David gemeint, dann aber in der oben angedeuteten alttestamentlichen Linie der Messiasverheißung der Messiaskönig selbst angesprochen, den das Neue Testament mit Jesus identifiziert.

5) Die Geschichte Jerusalems von Jesus bis in die Gegenwart

Zu Lebzeiten Jesu waren Israel und Jerusalem von den Römern besetzt (63 v. Chr. bis 324 n. Chr.). In den Jahren 70 und 135 n. Chr. wurden von den Römern zwei jüdische Aufstände zurückgeschlagen. Der Tempel und Jerusalem wurden zerstört und der größere Teil der jüdischen Bevölkerung in die Sklaverei gegeben und über das gesamte Römische Reich zerstreut. Auf des Zeitalter der Römer folgte das Zeitalter der byzantinischen Herrschaft (312/324–638), danach die Unterjochung unter die moslemischen Eroberer (638–1099), bis schließlich die europäischen Kreuzritter Jerusalem unter ihre Herrschaft brachten (1099–1187). Darauf folgten die Epochen der Mamelucken aus Ägypten (1260–1517) und der Ottomanen (1517–1917) mit Konstantinopel (heute: Istanbul) als Hauptstadt und schließlich die Zeit des britischen Mandats (1917–1948). Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet – ein Teil Jerusalems kam wieder unter jüdische Souveränität. Am 7. Juni 1967 eroberte Israel in einem weiteren Verteidigungskrieg die zweite Hälfte Jerusalems, hat aber den Tempelberg, den Berg Moria, einem jordanischen Wakf zur Verwaltung übergeben.

6) Jesus, Jerusalem und biblische Prophetie

In seinen Endzeitreden sprach Jesus mehrfach über Jerusalem. Dabei sprach er gleichzeitig und ineinander verwoben zwei unterschiedliche Generationen an: Zum einen seine Generation und zum anderen die letzte Generation. Dies wird klar, wenn man Jesu Prophetien in Beziehung setzt zu den Prophetien des Alten Testamentes über Jerusalem und die letzten Tage. Zwei Beispiele:

a) Beim Evangelisten Lukas finden wir folgende Aussage: „… und sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt unter alle Völker, und Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis die Zeiten der Heiden erfüllt sind.“ (Lk 21,24) Alles was vor dem Wörtchen „bis“ steht, bezieht sich auf die Generation Jesu. Alles was nach dem Wörtchen „bis“ steht, bezieht sich auf die letzte Generation. Ist es nicht erstaunlich, dass Jesus schon vor 2.000 Jahren prophetisch vorhergesagt hat, dass Jerusalem eines Tages wieder unter jüdische Oberhoheit kommen wird?

b) Beim Evangelisten Matthäus finden wir eine ergänzende Aussage in gleicher zeitlicher Zuordnung. Nachdem Jesus über Jerusalem weinte und seiner Generation Gericht vorhergesagt hat, schließt er diese Passage mit den Worten: „Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Mt 23,39) In anderen Worten: Die Rückkehr und Wiederherstellung Israels findet seine Kulmination in der Offenbarung Jesu als (wieder!) kommender Messias.

7) Die Jerusalem-Prophetien Jesu und das Alte Testament

Diese beiden Prophetien Jesu in Bezug auf Jerusalem haben im Alten Testament erstaunliche Entsprechungen, insbesondere in den letzten Kapiteln des Propheten Sacharja:

a) Der Prophet Sacharja beschreibt im Kapitel 12 und in der ersten Hälfte des Kapitels 14 einen endzeitlichen Kampf um Jerusalem (siehe besonders: Sach 12,2-3). Der finale Durchbruch in Richtung Frieden und Friedensreich kommt erst mit der Ankunft des Messias (Sach 14,2-4) und dem Gericht über die feindlichen Fremdvölker, die gegen Jerusalem militärisch aktiv geworden sind (Sach 14,5ff). Mit dem Gericht über die Fremdvölker beginnt das messianische Zeitalter.

b) Der Ankunft (Wiederkunft) des Messias unmittelbar voraus geht eine geistliche Erweckung, die alle Stämme und Clans Israels erreicht (Sach 12,10 – 13,1). Dies entspricht auch der Aussage des Apostels Paulus, dass am Ende dieses Zeitalters „ganz Israel“ gerettet werden wird (Röm 11,24ff) sowie den Aussagen in Kapitel 31 des Propheten Jeremia sowie des Propheten Hesekiel (Kapitel 36 und 37).

8) Das Gericht über die Fremdvölker

Das Thema des göttlichen Gerichtes über die Fremdvölker, die am Ende dieses Zeitalters Jerusalem militärisch der jüdischen Souveränität und der göttlichen Bestimmung berauben wollen, findet sich an zahlreichen Stellen (z. B. Sach 12 und 14), besonderes ausführlich und präzise aber im letzten Kapitel des Propheten Joel. In den Versen 1-3 werden 3 Varianten benannt, in denen die Völker an Gottes Bundesvolk Israel schuldig werden: a) Die Zerstreuung des jüdischen Volkes (Joel 4,2b), b) die Aufteilung des verheißenen Landes (Joel 4,2c) und c) die Geringschätzung jüdischen Lebens (Joel 4,3). Die letzte Variante wird von Jesus selbst in dem eschatologisch-prophetischen Gleichnis vom Völkergericht in Mt 25,31ff aufgegriffen.

9) Das messianische Friedensreich

Mit der Ankunft / Wiederkunft des Messias bricht das messianische Zeitalter an. Das Zeitalter, das die Propheten Jesaja (2,2-4) und Micha (4,1-4) in eindrücklichen Worten geschildert haben:

Jesaja sagt voraus: „Ja, es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses des Herrn festgegründet stehen an der Spitze der Berge, und er wird erhaben sein über alle Höhen, und alle Heiden werden zu ihm strömen. Und viele Völker werden hingehen und sagen: »Kommt, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns belehre über seine Wege und wir auf seinen Pfaden wandeln!« Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalem.“

Und Micha ergänzt: „… und er wird Schiedsrichter sein zwischen großen Völkern und zurechtweisen starke Nationen, die weit weg wohnen, also dass sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Rebmessern verschmieden; kein Volk wird wider das andere ein Schwert erheben, und sie werden nicht mehr den Krieg erlernen; sondern jedermann wird unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, und niemand wird ihn stören; denn der Mund des HERRN hat es geredet!“

Jetzt werden alle Gebete für den Frieden Jerusalems (Ps 122,6) ihre letztendliche Erfüllung erfahren. Jetzt können die „Wächter auf den Mauern Jerusalems“ (Jes 62,6-7) die Frucht ihrer Bemühungen sehen: Der Sohn Davids sitzt in der Stadt Davids auf dem Thron Davids!

10) Das neue Jerusalem

Den letzten Abschnitt dieser heilsgeschichtlichen Linie eröffnen uns die letzten Kapitel des Buches Offenbarung. Nach dem Sieg über die „Hure Babel“ (Kapitel 19) und dem messianischen Friedensreich (Kapitel 20) sieht Johannes, wie das neue Jerusalem vom Himmel auf die Erde kommt. In eindrücklichen prophetischen Bildern wird diese Stadt, die auch als Braut bezeichnet wird, geschildert. Besonders eindrucksvoll ist das Miteinander der 12 Stammväter Israels (das erlöste Israel – Offb 21,12) mit den 12 Aposteln des Lammes (die Erlösten aus den Nationen – Offb 21,14). Hier erfüllt sich die Vision Jesu aus Johannes Kapitel 10, dass das erlöste Israel mit den Erlösten aus den Nationen für immer eine gemeinsame „Herde“ bilden wird: „… und es wird eine Herde und ein Hirte sein.“ (Joh 10,16)

Diese zehn Eckpunkte umreißen die Entwicklung Jerusalems von den Uranfängen über die Meilensteine, die König David, Jesus und die neuzeitliche Staatsgründung Israels gesetzt haben, bis hin in die biblisch-prophetisch vorhergesagte eschatologische Zukunft. Aus all dem heraus ergibt sich, dass Jerusalem eine einzigartige Stadt mit einer einzigartigen Berufung ist: Eine Stadt mit einer priesterlichen, königlichen und prophetischen Sendung – kurz: mit einer messianischen Sendung. Die Stadt des Messias. Die „Stadt des großen Königs“ (Mt 5,35).


Erschienen in:
Dossier #2: Jerusalem – Stadt des Herrn und Brennpunkt der Geschichte
Tobias Krämer | Christen an der Seite Israels
Erhältlich unter: www.csi-aktuell.de