Warum bedeutet dir San Remo so viel?

Im Frühjahr 2020 unterhielt ich mich mit einem Freund über die Bedeutung der San-Remo-Konferenz von 1920, die fast genau 100 Jahre zuvor stattgefunden hatte. Ich war sehr bewegt von dem 100-Jahres-Jubiläum und mein Freund – ein gestandener Christ und Israelfreund, aber ohne allzu viel Geschichtswissen – stellte mir diese Frage. In einem längeren Gespräch brachte ich ihm in etwa die folgenden Gedanken nahe.

1) Meine Beziehung zur Europäischen Koalition für Israel

Viele Jahre war ich im Vorstand einer christlichen Lobbyorganisation in Brüssel mit Namen „European Coalition for Israel“ (Europäische Koalition für Israel – ECI). Diese Organisation unter der Leitung eines guten Freundes, Thomas Sandell, war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Bedeutung dieses historischen Ereignisses zum 90. Jahrestag der San-Remo-Konferenz 2010 verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gekommen ist – interessanterweise nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb Israels. Damals wurde auch mein Interesse an diesem Geschehen geweckt.

2) Die San Remo-Konferenz war ein Meilenstein hin zur Erfüllung biblischer Prophetie

Die Wiederherstellung der Staatlichkeit Israels in Verbindung mit der Rückführung des jüdischen Volkes aus der Diaspora ist im Alten Testament vielfach verheißen (Jer 31; Hes 36 u. ö.). Ebenso ist die Wiederherstellung Jerusalems unter jüdischer Souveränität von Jesus im Einklang mit alttestamentlicher Prophetie vorhergesagt (Lk 21,24; Jes 62). Generationen von Christen, die diesen biblischen Verheißungen geglaubt und für deren Erfüllung gebetet haben, konnten sich nicht vorstellen, wie so etwas konkret geschehen sollte. Heute geht es uns mit anderen unerfüllten Prophetien ähnlich. Aber hier können wir eine solche Erfüllungsgeschichte im historischen Rückblick nachzeichnen. Aus historisch-politischer Sicht und aus der Perspektive des internationalen Rechts stellt die Vereinbarung der Siegermächte des 1. Weltkrieges in San Remo gewissermaßen die „Grundsteinlegung“ des modernen Staates Israel dar. Als biblisch wie auch historisch interessierter Christ finde ich diese Zusammenhänge äußerst bedeutsam und faszinierend!

3) Die Rolle geistgewirkter Erweckung im Vorfeld dieser politisch-historischen Sensation

In Großbritannien gab es im 18./19. Jahrhundert eine Reihe von Erweckungsbewegungen. Von den Wesley-Brüdern bis zur Heilsarmee gab es zahlreiche erweckliche Aufbrüche und Strömungen. Ein besonderes Merkmal dieser Strömungen war das wachsende Bewusstsein dafür, dass die Zeit der verheißenen Wiederherstellung Israels auf biblisch-historischem Boden in großen Schritten näher rückt. Eine weitere Besonderheit war die Tatsache, dass diese Bewegungen und dieses Bewusstsein auch die Oberschichten der britischen Gesellschaft erreichten. Es ist belegbar, dass etwa die Hälfte der Minister des britischen Kriegskabinetts im 1. Weltkrieg von diesen erwecklichen Strömungen geprägt oder zumindest berührt waren. Das wiederum hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Verabschiedung der vom damaligen Außenminister Balfour vorgeschlagenen Erklärung, den Juden in Palästina wieder eine nationale Heimstätte (einen eigenen Staat) zu schaffen. Erweckungsgeschichte und Weltgeschichte berührten sich an dieser Stelle.

4) Die Nichtbeachtung der Beschlüsse von 1920/22 beeinflusst deutsche Nahostpolitik bis heute

Die Beschlüsse der Siegermächte des 1. Weltkrieges in San Remo wurden 1922 vom Völkerbund, dem Vorläufer der Vereinten Nationen, bestätigt. Zu diesem Beschlusspaket gehörten auch die völkerrechtlichen Grundlagen der neu gegründeten Staaten Syrien, Libanon, Jordanien und dem Irak. Die Vereinten Nationen als Nachfolgeorganisation wiederum waren rechtlich an die Beschlüsse des Völkerbundes gebunden und erhielten sie deshalb aufrecht. Dies war und ist eine Selbstverständlichkeit. Was für die neu gegründeten arabischen Länder selbstverständlich ist, soll jedoch für Israel nicht (mehr) gelten. Das ist heute gängige Meinung und nach meinem Dafürhalten nicht hinnehmbar. Die Ignoranz, Missachtung und Leugnung dieser historischen Zusammenhänge verzerren die politische und völkerrechtliche Diskussion der letzten Jahrzehnte erheblich.

Diese Verzerrung wird seit Jahrzehnten von der deutschen Außenpolitik gegenüber Israel bewusst oder unbewusst akzeptiert und verstärkt. In den bilateralen Beziehungen, im Kontext der Europäischen Union und auch im Abstimmungsverhalten in der UN. Als betender Christ und als deutscher Staatsbürger halte ich das für skandalös. Der Skandal ist für mich umso größer, als dass Deutschland im 1. Weltkrieg an der Seite des Osmanischen Reiches gleichsam auf der falschen Seite der Geschichte stand – wie dann im 2. Weltkrieg wieder – und sehr gut daran täte, endlich die Seite zu wechseln.

5) Die „richtige Seite der Geschichte“ – ein Gebetsanliegen

Die „richtige Seite der Geschichte“ wäre biblisch gesprochen an der Seite Israels und völkerrechtlich gesprochen an der Seite der Beschlüsse der Siegermächte in San Remo 1920 in Verbindung mit den Beschlüssen des Völkerbundes von 1922. Je besser wir Christen diese Zusammenhänge verstehen, desto besser können wir dafür beten und uns dafür einsetzen. Deshalb bedeutet mir die San Remo-Konferenz von 1920 so viel.