Dein Reich komme!

Impulse zur Weiterentwicklung der Reich-Gottes-Erwartung aus biblisch-hebräischer Perspektive

Kaum ein biblisches Thema weckt so viel Hoffnung, ist aber gleichzeitig so umstritten wie die Rede vom Reich Gottes. Dadurch, dass Jesus diese Perspektive ins Zentrum des Vaterunsers gestellt hat, ist dieses Gebet, ist diese Dimension unseres Glaubens und Handelns für uns Christen von zentraler Relevanz.

Allerdings gibt es zu dieser Thematik kirchengeschichtlich und aktuell verschiedene Zugänge mit unterschiedlicher biblischer Anbindung und Substanz. Auch innerbiblisch ist diese Thematik sehr breit und komplex angelegt. Weil sie so zentral ist.

In unserer „frommen“ Landschaft in Deutschland wird, primär evangelikal geprägt, hauptsächlich die individuelle und nach innen gerichtete Dimension des Reiches Gottes beachtet. Die nach außen gerichtete und kollektive Dimension des Reiches Gottes ist vielen Gläubigen mehr oder weniger fremd. Hier herrscht Ergänzungs- und Nachholbedarf. Dieser Bedarf ist mit Blick auf endzeitliche Entwicklungen in unserer Generation in Verbindung mit dem zweiten Kommen Jesu hoch relevant.
Mit diesem Aufsatz soll skizzenhaft eine gesamtbiblische Schau unter Berücksichtigung der zentralen heilsgeschichtlichen und endzeitlichen Rolle Israels vorgelegt werden. In sieben Impulsen.

1) Der Ursprung der Reich-Gottes-Erwartung liegt in der Schöpfungsgeschichte

„Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie; und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie Euch untertan; und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, das sich regt auf der Erde!“ (1 Mo 1,27-28)

Der Auftrag, zu herrschen, ist der Urauftrag des Menschen. Dafür hat Gott Mann und Frau in seinem Ebenbild geschaffen. Darin drückt sich die Ebenbildlichkeit des Menschen gegenüber seinem Schöpfer aus. Durch den Sündenfall hat diese Berufung einen Bruch erfahren. Durch die Erlösungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen Gottes, sowohl auf der Ebene des individuellen Erlösungshandelns Gottes wie auch auf der Ebene der universellen Heilsgeschichte Gottes, möchte und wird Gott der Schöpfer und Gott der Erlöser diesen Bruch heilen und seinen ursprünglichen Plan verwirklichen.

2) Das Ziel der Reich-Gottes-Verheißung liegt in der Herrschaft einer erlösten Menschheit über eine erlöste Schöpfung – mit Gott in unserer Mitte!

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen und das Meer gab es nicht mehr. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabsteigen, zubereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut. Und ich hörte eine laute Stimme sagen: Siehe, das Zelt (Tabernakel) Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen; und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott.“ (Offb 21,1-3)

Hier erfüllt sich das letztendliche Ziel von Gottes universellem Heilsplan, wie er es von Anfang an im Sinne hatte: Die erlöste Völkerwelt, mit dem erlösten Jerusalem und der Gegenwart Gottes im Zentrum, lebt unter einem neuen Himmel auf einer neuen Erde. Das, was in Genesis 1 begonnen hat, findet in Offenbarung 21 und 22 seine letztendliche und ewige Erfüllung. Doch der Weg von Alpha nach Omega hat einige ganz zentrale Stationen, die zu verstehen sehr hilfreich sind.

3) Israel ist der Wegbereiter des kommenden Reiches Gottes

„Wenn ihr (Israel) nun wirklich meiner Stimme Gehör schenkt und gehorchen werdet und meinen Bund bewahrt, so sollt ihr vor allen Völkern mein besonderes Eigentum sein; denn die ganze Erde gehört mir, ihr aber sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein!“ (2 Mo 19, 5-6a)

Unmittelbar vor der Verkündung der 10 Gebote hat Gott die Berufung Israels definiert: Die Kernberufung des auserwählten Volkes besteht darin, ein „Königreich von Priestern“ zu sein zum Segen (1 Mo 12,3!) für die globale Völkerwelt. Es ist von großer, oft unterschätzter Bedeutung, dass Israel in diesem sehr zentralen Berufungsmoment als „Königreich“ (!) definiert wird! Alle späteren Reich-Gottes-Offenbarungen der (alt- und neutestamentlichen) Propheten Israels, einschließlich Jesus, gründen in dieser Berufung! Die Verwirklichung der Herrschaft Gottes an und in Israel soll den Weg dafür bahnen und ist Voraussetzung dafür, dass sich das Königreich Gottes einmal über die gesamte Völkerwelt ausbreiten wird.

4) Es braucht den Messias, um Israel an das Ziel seiner königlichen Berufung zu bringen

„Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird regieren über das Haus Jakobs in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“ (Luk 1,31-33)

Anknüpfend an die Verheißung, die Gott durch den Propheten Nathan in 2Sam 7,16 dem alten König David gegeben hat, verheißt der Engel Gabriel Maria, dass sich in ihrem vom Heiligen Geist gezeugten Sohn Jesus (hebr: Jeshua) die Reich-Gottes-Verheißungen an und durch Israel erfüllen werden. Entscheidend ist, dass sich hier die neutestamentliche Reich-Gottes-Erwartung nahtlos mit der alttestamentlichen Reich-Gottes-Erwartung verbindet! Es ist eine weitreichende, folgenschwere kirchen- und theologiegeschichtliche Fehlentwicklung, dass sich die christliche Reich-Gottes-Erwartung und deren Konkretion von der biblisch-hebräischen Reich-Gottes-Erwartung, die mit dem „Sohn Davids“ (der Messias / Jesus) auf dem „Thron Davids“ (Berg Moria / Tempelberg / Jerusalem-Zion / Neues Jerusalem) engstens verwoben ist, losgelöst hat.

5) In Jesus wird die weltweite christliche Gemeinde in die königliche Berufung Israels integriert

„Darum steht auch in der Schrift (Jes 28,16): ‚Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein, und wer an ihn glaubt, soll nicht zuschanden werden‘ … Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk des Eigentums …“ (1 Pet 2,6+9a)

Hier lesen wir, dass der durch Jesus erlösten weltweiten christlichen Gemeinde die Kernberufung Israels zuteilwird. Das ist eine gewaltige Verheißung! Das ist eine gewaltige Verantwortung! Wir als die aus den Völkern Erlösten sollen nun das Mandat Israels zu unseren Völkern hin ausleben. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Zum einen – was heißt das für die weltweite Gemeinde Jesu konkret? Zum anderen, was wird aus der Berufung Israels? Die erste Frage wollen wir nachfolgend weiter erörtern. Die Antwort auf die zweite Frage finden wir im Römerbrief des Apostels Paulus in den Kapiteln 9-11, wo er sich ausführlich mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Das Fazit dieser drei Kapitel lautet: Israels Berufung ist von Gott her, trotz Perioden von Gericht, immer aufrecht gehalten worden und ist dabei, teilweise im Vorfeld des und teilweise ausgelöst durch das Kommen des Messias, Jesus, zur eigentlichen Erfüllung zu kommen – engstens verwoben mit der Erfüllung der Berufung der Gemeinde Jesu aus den Nationen.

6) Wir sind zur Königsherrschaft berufen und werden darauf vorbereitet

„Siehe, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist, die Wurzel Davids … und inmitten der Ältesten stand das Lamm … und die 24 Ältesten (fielen) vor dem Lamm nieder … und sprachen: Du bist würdig … denn du bist geschlachtet worden und hast uns für Gott erkauft mit deinem Blut aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen, und hast uns zu Königen und Priestern gemacht für unseren Gott, und wir werden herrschen auf Erden. (Offb 5,5+8+10)

„… sie werden Priester Gottes und des Christus (Messias) sein und mit ihm regieren 1000 Jahre.“ (Offb 20,6b)

Hier kommt nun schrittweise zum Ziel, was Gott von Anbeginn an geplant hat: Die Menschen, die durch das Blut des Lammes gereinigt sind und in schweren Zeiten überwunden haben, regieren die Erde. Gemeinsam mit ihm, dem Löwen aus dem Stamme Juda. Im Hochzeitsmahl des Lammes werden wir, die 5 Jungfrauen, die Zugang bekommen haben, mit dem König vereint und sitzen mit ihm, als seine Braut, seine Königin, auf dem Thron Davids. Mit ihm gemeinsam regieren wir im priesterlichen Geist die Erde in Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Darauf werden wir jetzt und bis dahin vorbereitet. Jesus schult und begleitet uns darin, in priesterlicher Regentschaft und in, wenn nötig, todesmutiger Überwindungsfähigkeit Anteil an seinem Leiden und an seiner Autorität zu gewinnen.

7) Im Zentrum dieses herrlichen Königreiches steht das neue Jerusalem, bestehend aus dem erlösten Israel gemeinsam mit der Gemeinde der Überwinder aus der Völkerwelt

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; … und er zeigte mir die große Stadt, das heilige Jerusalem, die von Gott aus dem Himmel herabkam, … Und sie hatte eine große und hohe Mauer und zwölf Tore, und an den Toren zwölf Engel, und Namen angeschrieben, nämlich die der zwölf Stämme Israels. Und die Mauer der Stadt hatte zwölf Grundsteine, und in ihnen waren die Namen der zwölf Apostel des Lammes.“ (Offb 21,1+10+12+14)

Die erlösten Nachkommen der zwölf Stämme Israels und die Überwinder aus der weltweiten Gemeinde der zwölf Apostel des Lammes finden wir an zentraler Stelle in dem neuen Jerusalem, das vom Himmel auf die Erde kommt. Jesus selbst hat diese Vision beschrieben, als er im Johannesevangelium, Kapitel 10, von den beiden Herden sprach, der jüdischen und der nichtjüdischen, die dazu bestimmt sind, einmal eine Herde unter einem Hirten zu werden. Gemeinsam sind wir die Braut Christi, Teil des neuen Jerusalems, und werden aus der Gegenwart Gottes mit ihm die Segnungen des Königreiches Gottes auf einer neuen Erde unter einem neuen Himmel erleben und ausleben.

Schlussfolgerungen

Diese Ergänzung oder Korrektur unseres üblichen Reich-Gottes-Verständnisses zieht potentiell weitreichende Schlussfolgerungen mit sich:

  • Unsere Sicht von Jesus erweitert sich: Er ist nicht nur und in erster Linie Erlöser, sondern er ist gleichzeitig Erlöser und König. Wir erkennen Jesus noch besser als „König der Juden“ (Kreuzesinschrift INRI) und „König der Könige“. Das heißt, wir erkennen Jesus nicht nur in seiner individuellen Erlösungsbedeutung an, sondern auch in seiner kollektiven. Als König Israels ist er König über ein konkretes Volk. Als König der Könige hält er in letzter Instanz das Geschick der Menschheitsgeschichte in seiner Hand – auf je unterschiedliche Weise vor seinem beziehungsweise nach seinem zweiten Kommen.
  • Neben der individuellen Reich-Gottes-Schau tritt die gemeinsame, kollektive in den Vordergrund: Unser Auftrag als gesamtheitliches Volk Gottes in dieser Zeit und auf dieser Welt. Wir strecken uns deshalb neu aus nach einer vom so verstandenen Reich Gottes geprägten „Gesellschaftsordnung“ und einem entsprechenden kollektiven Lebensstil sowohl im Kontrast zu als auch zum Segen für die uns umgebende Gesellschaft. Israel und die Thora haben Vorbildcharakter.
  • Neben der teilweise vom griechischen Dualismus geprägten Reich-Gottes-Erwartung, in der das kommende Reich primär eine transzendente Größe darstellt, verbindet sich – biblisch-hebräisch – die Vorstellung vom kommenden messianischen Königreich mit der Vollendung der Schöpfungsabsichten Gottes. Der biblisch-heilsgeschichtliche Megatrend lautet: Der Himmel / Gott / das „Zelt Gottes“ kommt auf die Erde! Wie auch Jesus gebetet hat: „Dein Reich komme!“
  • Diese Perspektive fügt unserem Auftrag, das „Evangelium vom Königreich Gottes“ in aller Welt zum Zeugnis für alle Völker zu predigen (Mt 24,14), eine entscheidende, oft vernachlässigte Dimension hinzu. Wenn Jesus davon spricht, Völker (!) zu Jüngern zu machen (Mt 28,19), dann spricht er im Zusammenhang mit der Verbreitung des Evangeliums vom Reich Gottes diese kollektive Dimension mit an. Individuelle Erlösung und Segen für die Völker als Ganzes sind im Missionsauftrag ein Gesamtauftrag, ein „Gesamtpaket“.
  • Und schließlich: In der heilsgeschichtlichen Verbundenheit von Gemeinde und Israel gewinnt Israel – mit biblischem Recht – in den Augen der Gemeinde eine ganz neue Würde und Wertschätzung. Wir erkennen, dass wir beide als miteinander verbundene und zusammengestellte Bündnisvölker Gottes eine hohe Berufung haben. Wir erkennen, dass wir beide noch unvollkommen sind. Wir erkennen, dass wir beide auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind, um ans Ziel zu gelangen, und dass wir uns dafür gegenseitig brauchen. Das ist der Gipfel der Erläuterungen des Paulus aus dem Römerbrief, Kapitel 11.

Dann findet auch das Gebet Jesu „Dein Reich komme“ seine letzte und umfassende Erfüllung.

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